Rezension: “Die goldene Ananas” von Dennis Kornblum

Zum Inhalt

Elias ist 26, Autist, und lebt in einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen. Die Geschichte beginnt an dem Punkt, an dem Elias diesen überaus geschützten Rahmen des Wohnheims verlassen und in eine eigene Wohnung ziehen soll. Seine Betreuer, Therapeuten und seine Eltern sind der Meinung, dass diese Wohnform im Wohnheim nicht das Richtige für ihn ist und es ohnehin an der Zeit wäre, den nächsten Schritt zu wagen. Diese Situation erfüllt Elias mit allerlei Ängsten. Wird er alleine zurecht kommen und vor allem, wird er weiterhin seine feste Routine aufrecht erhalten können? Diese ist ihm sehr wichtig, nimmt im Grunde seinen kompletten Alltag ein und lässt wenig Raum für Veränderungen und Neues. Sein Tag ist dadurch sehr streng durch strukturiert, wobei er sich hauptsächlich mit dem Einüben von Techniken und Fertigkeiten auf seiner E-Gitarre beschäftigt. Ganze sechs Stunden täglich rechnet er für seinen Übungsplan ein. Aber auch jede Zigarette, jede (halbe) Tasse Kaffee, jedes Musikalbum, jeder Film, jedes Hanteltraining und jede Mahlzeit – all das ist an eine festgelegte Uhrzeit oder die feste Struktur gebunden. Zwar hat Elias Träume, wie beispielsweise den, in einer Death-Metal-Band zu spielen, aber seine Ängste stehen ihm bei der Erfüllung seiner Wünsche oftmals im Weg. 

Allerdings hat Elias die Rechnung ohne seine neuen Nachbarn gemacht, die ihn Stück für Stück aus seinen gewohnten Abläufen und damit aus seiner Komfortzone herauslocken. Da wäre Willie, der sich Elias annimmt, regelmäßig mit ihm und seinen Kumpels ins Café Auberge geht, und ihm sogar einen Kontakt zu einer Death-Metal-Band vermittelt. Doch zunächst hat Elias zu große Angst, diesen Kontakt auch aufzunehmen. Durch die Treffen im Auberge fällt Elias Sandrine auf, die ihn sofort mit einem Lächeln verzaubert. Wird er den Mut finden, sie anzusprechen? 

Aber auch die kleine Mara, die in der Schule gemobbt wird, und für die er sofort eine tiefe Sympathie empfindet, bringt ihn immer wieder dazu, seine gewohnten Abläufe zu durchbrechen. 

Ein weiterer Hausbewohner, Joe, nimmt ihn mit in sein Fitnessstudio. Mit Betty führt er intensive Gespräche über Menschen und welchen Einfluss sie auf andere haben, aber auch über sich selbst, seine Ängste und Träume. 

Die Katze von Herrn Ingelheim, der sich Menschen gegenüber äußerst distanziert verhält, hat es ihm besonders angetan, denn Elias liebt Katzen. Schon bald hat er das Vertrauen des scheuen Tiers gewonnen und wird regelmäßig von ihr in seiner Dachgeschosswohnung besucht. Zudem ist er der einzige im Haus, der es in all den Jahren schafft, zunächst einen Kontakt und dann sogar eine Freundschaft zu Herrn Ingelheim aufzubauen. 

Meine Meinung

Durch all diese Begegnungen wird Elias immer mehr dazu veranlasst, seine Routine aufzuweichen. Was ihn zunächst noch sehr verunsichert und ängstigt, eröffnet ihm gleichzeitig immer mehr und neue Möglichkeiten. 

Oftmals tue ich mich schwer, wenn Geschichten in Filmen, Serien oder Büchern von autistischen Menschen handeln, insbesondere dann, wenn an deren Entwicklung keine Betroffenen selbst mitgewirkt haben. Denn leider werden dabei häufig klischeehafte Darstellungen genutzt, die oftmals auch nur dazu führen, dass Vorurteile reproduziert werden. Als ich allerdings auf einem anderen Blog einen Aufruf las, dass autistische BloggerInnen für eine Buchrezension gesucht würden, der Roman von einem autistischen Charakter handele, und der Autor selbst die Diagnose habe, war ich doch neugierig. 

Dennis Kornblum schrieb mir, dass es sich natürlich nur um ein Fallbeispiel handele, denn schließlich sind AutistInnen alle unterschiedlich. Das stimmt natürlich, aber ich bin der Meinung, dass es so etwas wie ein kollektives Erleben gibt, was es mir oftmals ermöglicht, Wahrnehmung, Gedankengänge, Sorgen, autistische Bedürfnisse und den damit verbundenen Stress nachzuempfinden. Dennis Kornblum beschreibt in vielen Szenen Situationen und Gedankengänge sehr detailliert, was andere LeserInnen vielleicht sogar irritieren mag. Für mich ist es Alltag, die Dinge in der Art wahrzunehmen. Auch die immer wiederkehrende und ausführliche Darstellung von Elias‘ Spezialinteresse, dem Gitarrenspiel, welches schlicht sehr viel Raum in seinem Denken einnimmt, mag für manche sicher ungewohnt sein. Aber genau durch solche Dinge erhält man einen sehr guten Einblick in die Gedankengänge von Elias. Diese sind sicher maßgeblich vom Autor geprägt, denn sie wirken auf mich unfassbar authentisch und somit sehr viel näher an dem, wie so ein Alltag abläuft, als das in vielen anderen Büchern oder Film- und Fernsehproduktionen der Fall ist. Ich konnte auch sehr gut nachempfinden, wie sich Elias fühlen muss, wenn genau diese Dinge für andere Menschen nicht nachvollziehbar sind, und diese daher vielleicht nicht ganz so enthusiastisch und interessiert darauf reagieren, wie er sich das wünschen würde. 

Ich weiß auch sehr genau, wie Veränderungen im Alltag verängstigend und bedrohlich wirken können, und wie sehr man dabei von allerlei Faktoren, die einem Sicherheit geben, abhängig ist. Ich kann die Gedankengänge sehr gut nachvollziehen, wenn genau diese Sicherheit durch ein Abweichen von der Routine nicht mehr gegeben ist. 

Dadurch, dass Elias‘ Geschichte so authentisch wirkt, mag es zwar manchmal durchaus ungewohnt und für Außenstehende auch mühsam sein, dem Verlauf zu folgen, aber das ist eben genau das, was sein Erleben ausmacht. Es ist anstrengend, von vielen Ängsten geprägt und dadurch für ihn  auch mit einer gewissen Kraftanstrengung verbunden, wenn Elias seine Komfortzone verlässt, sich auf neue Dinge und Menschen einlässt. Es wird dadurch erst so richtig deutlich, dass die Gedanken eigentlich nie eine Pause machen, jede Situation durchdacht wird, jede unsichere Variable einkalkuliert werden muss und jedes Detail wahrgenommen wird. Man spürt auch deutlich, dass Elias‘ Handlungen im sozialen Kontext nicht so sehr intuitiv sind, wie ich selbst das bei anderen Menschen oftmals wahrnehme. Dadurch entsteht für Elias an vielen Stellen eine große Verunsicherung, beispielsweise wenn Personen sich nicht an zeitliche Absprachen halten oder diese etwas weniger streng auslegen, als er selbst es tut. Ein Umstand, der mir höchst vertraut ist.

Mehr als einmal hatte ich also das Gefühl, Elias‘ empfundenen Stress spüren zu können, so vertraut waren mir seine Gedankengänge oftmals. 

Alles in allem gibt der Roman einen wirklich sehr guten und authentischen Einblick in das Erleben eines Autisten. Die Beziehungen, die Elias im Laufe der Geschichte aufbaut, sind jede für sich auf ihre Art prägend und helfen ihm, Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten zu können. Elias stößt dabei auf durchaus viel Verständnis, während er gleichzeitig ein gewisses Talent darin hat, das Leben seiner Nachbarn positiv zu beeinflussen. Diese Erkenntnis ist es auch, die ihm schließlich erlaubt, sein Leben nicht von seinen Ängsten bestimmen zu lassen. Es ist faszinierend, ihn bei dieser Entwicklung zu begleiten, und gibt auch mir manchen Denkanstoß im Hinblick auf meinen eigenen Alltag. 

Toll finde ich auch, dass die Geschichte keine plakativen Klischees enthält, wie man sie sonst oft liest oder sieht. Auch kommt die Story ohne unnötige Romantisierung aus, etwas, was in vergleichbaren Geschichten leider häufig passiert, aber immer wieder zu Verzerrungen bei der eigentlichen Problematik führt, und oft auch die Charaktere auf eine Art infantil wirken lässt.

Ich mag die wunderbar andere Art des Romans, etwas Vergleichbares habe ich bisher noch nicht lesen können. Wer sich zudem einen Einblick in das Erleben, sowie die Gedanken- und Gefühlswelt eines (!) Autisten wünscht, für den ist dieses Buch genau das Richtige. Aber nicht vergessen, es handelt sich, trotz einiger Gemeinsamkeiten, um die Geschichte genau eines Autisten. 

Abschließen möchte ich meine Rezension mit einem Zitat aus dem Roman: 

„Auf einmal überkam ihn ein starkes Gefühl von Vertrauen in sich selbst, in seine Fähigkeiten, seine Eigenschaften; es war ein elektrisierendes, nahezu euphorisches Empfinden. Wenn er eine solch bedeutende Rolle für andere Menschen spielen konnte, könnte er dann nicht auch sein eigenes Leben vorantreiben, für sich selber Glück erreichen?“