Fehlende Akzeptanz und die Folgen

Fast immer, wenn ich einen Blog-Post schreibe, nagt ein Thema tagelang an mir. Ich muss meine Gedanken irgendwie ordnen und raus lassen. Dieses Mal fällt es mir schwer, weil das Thema im Grunde mein innerstes Erleben betrifft und somit sehr intim ist. Beim Schreiben habe ich ein ums andere mal gemerkt, wie sehr mein Körper verkrampft, ich Panik bekomme oder einfach ein starkes Gefühl der Verletztheit empfinde. Es war nicht leicht, an all das zu denken. (Ich kann auch bis zum Schluss nicht sagen, ob ich es irgendwann schaffe, den Beitrag zu veröffentlichen). Viele Erlebnisse würde ich gerne hinter mir lassen, aber es gelingt mir nicht.

In den letzten Tage fiel mir wieder auf, wie sehr ich mich doch in einer Filterblase bewege. Es hat mehr als drei Jahrzehnte gedauert, aber ich habe mir jetzt ein Umfeld geschaffen, dass geprägt ist von Akzeptanz und Wertschätzung. Das war nicht immer so, und das hat mich bis heute tief geprägt.

Leider kann ich mich nicht nur in meinem wertschätzenden Umfeld bewegen oder in meiner Community. Es bleibt nicht aus, dass man es immer wieder mit Menschen zu tun hat, die einem mit ihrem ganzen Verhalten daran erinnern, wie es ist, nicht akzeptiert zu werden. Menschen, die Diversität keine Wertschätzung entgegenbringen. Das passiert mir im realen Leben ständig, aber auch online. Ich bin ja sehr aktiv in der Aufklärung rund um das Thema Autismus. Es gibt Menschen, die sind unglaublich dankbar, wenn sie von Autisten lernen können. Sie sind offen für eine neue Sichtweise. Für diese Menschen mache ich das. Ich mache es aber vor allem auch für die vielen kleinen Autisten da draußen. Ich will, dass autistische Kinder mit einem ganz anderen Selbstverständnis aufwachsen können.

Des Öfteren hat man es aber auch mit den Menschen zu tun, die meinen sie wüssten, was für uns das Beste ist, und wie man das erreichen kann (das „Beste“ ist in dem Fall häufig maximale Anpassung an eine neurotypische Gesellschaft; je unauffälliger ein Autist, desto besser – allerdings nur für die Gesellschaft, nicht für den Autisten). Menschen, die ständig über uns hinweg reden, und uns mit ihren tollen Therapieansätzen nichts anderes vermitteln, als dass wir falsch sind. Diese Menschen hören nicht zu, und erst recht nicht wollen sie von ihrem Standpunkt abweichen. Denn das würde bedeuten, dass nicht wir Autisten uns zu ändern hätten (was für viele Autisten extreme Folgen haben kann, davon können die meisten von uns aus eigener Erfahrung berichten), sondern dass die Gesellschaft sich fragen muss, wie sie uns Teilhabe ermöglichen kann. Hierzu fände ich es persönlich wichtig, uns zu fragen, wie wir uns Teilhabe vorstellen. Ich möchte selbst die Bedingungen für meine Teilhabe formulieren dürfen. Ich möchte nicht, dass neurotypische Menschen mir erklären, was mir wichtig zu sein hat und was ich brauche. Wer bestimmt denn, wie ein glückliches und erfülltes Leben auszusehen hat? Die Realität sieht meist so aus, dass die Gesellschaft sozusagen formuliert, wie ein normatives Leben zu sein hat. Wenn ein autistisches Kind beispielsweise sehr viel mit Rückzug reagiert, wird das häufig als schädliches Verhalten interpretiert, etwas das man ändern muss. Auch der Umgang mit Medien ist häufig ein Dauerthema. Viele, vor allem junge Autisten nutzen sehr viel Medien in ihrer Freizeit. TV, Computerspiele, Handy. Das alles hilft beim Abbau von Stress und ist eine häufig genutzte Möglichkeit des Rückzugs. Anerkannt als solches wird es oft nicht. So etwas bemerke ich immer wieder, wenn ich meine Filterblase verlasse. Eltern, die ihre Kinder und deren Bedürfnisse nicht akzeptieren können, und sich dabei als Opfer dieser Bedürfnisse sehen, weil sie ihr Leben entweder notgedrungen anpassen müssten, oder aber genau dies nicht tun, und ihre Kinder der damit einher gehenden Erwartungshaltung nicht gerecht werden können. Den Kindern wird die Verantwortung für ein funktionierendes Familienleben auferlegt. Therapeuten, die Kindern autistisches Verhalten weg therapieren wollen und dabei gar nicht merken, wie sehr sie den Kindern schaden. Kinder spüren sehr wohl, wie man ihnen begegnet. Sie merken ganz genau, dass ihre autistische Identität etwas ist, was in solchen Fällen auf wenig Akzeptanz stößt. Sie spüren, wenn ihre Eltern sich schämen, mit der Situation hadern und unzufrieden sind. Sie merken, wenn sie die an sie geknüpften Erwartungen nicht erfüllen können, aber auch wenn man ihnen nichts zutraut. Beides ist für die kindliche Entwicklung schädlich. Wenn man Kindern all diese Dinge immer wieder reflektiert, dann setzt sich das fest. Sie wachsen zu Menschen heran, die immer wieder an sich und ihren Mitmenschen zweifeln. Sie wissen nicht wie es ist, wenn Akzeptanz, Wertschätzung und Liebe nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft sind. Eine Facebook Freundin hat neulich so schön gesagt: Wenn Eltern schon schreiben „ich liebe mein Kind, aber…“. Dieses „aber“ vermittelt man seinem Kind automatisch weiter.

Ich muss zugeben, ich werde von all diesen Dingen massiv getriggert. Es hat mich in meinem Leben bisher schon zu viel gekostet, mich den Ansprüchen einer neurotypischen Gesellschaft und den Vorstellungen meiner Mitmenschen anzupassen. Permanentes Maskieren und kompensieren über drei Jahrzehnte fordern ihren Tribut, das kann man einfach nicht ignorieren. Und ich weiß, es geht vielen anderen genauso. Ich habe einen sehr hohen Preis dafür gezahlt, dazu gehören zu wollen, mich anzupassen. Die körperlichen und seelischen Schmerzen, die es jedesmal wieder bei mir verursacht, zeigen mir sehr deutlich, wie „falsch“ ich all die Jahre gelebt habe. Und das alles, weil ich mich immer falsch, kaputt, unzureichend, ungenügend oder mangelhaft gefühlt habe. Fühle ich mich an solche Situationen erinnert oder werden immer wieder diese Triggerpunkte gedrückt, dann krampft mein Körper sofort zusammen. Ich bekomme Schmerzen, Herzrasen, Atemnot, Panik und mein Selbstwert, den ich mir in den letzten Jahren mühsam aufgebaut habe, bricht sofort komplett weg.

Ich war immer das schwierige Kind, das mit anderen verglichen wurde. Ich entsprach weder optisch noch in meinem ganzen Verhalten dem, wie man mich gerne gehabt hätte. Noch heute wird davon erzählt, wie schwierig ich war und auch wird ganz unumwunden zugegeben, dass man mir Dinge wie einen Studienabschluss nicht zugetraut hat und auch nach wie vor nicht zutrauen würde. Es wurde vorausgesetzt, dass man funktioniert, egal wie und zu welchem Preis. Nicht zu funktionieren war keine Option. Ich tat mein Bestes, aber gefühlt war es nie genug. Ständige Streitigkeiten und der Eindruck , dafür verantwortlich gemacht zu werden, gaben mir das Gefühl, nichts richtig machen zu können, und vor allem ein Störfaktor zu sein.

In der Schule war es oft die Hölle. Mobbing oder die Angst davor bestimmten meinen Schulalltag. Ich glaube, ich habe sehr „empfindliche Antennen“ für so etwas. Ich merke sofort, welche Kommunikationsmuster verwendet werden, ich sehe jeden Blick, den man sich heimlich zu wirft, und ich bemerke jedes Getuschel. Bis auf eine ging jede Freundschaft aus meiner Schulzeit früher oder später so zu Ende. Ich versuchte, mich anzupassen. Ich wollte so gerne dazu gehören. Ich kopierte Verhaltenweisen anderer und wirkte dabei wahrscheinlich eher farblos und unecht. Kennt ihr das Gefühl, wenn man mitten drin ist, und doch irgendwie nie wirklich dabei? Ich beobachtete viel. Ich kann mich erinnern, dass ich wochenlang nach meiner Einschulung jeden Tag im Unterricht weinen musste. Ich war so überfordert und unsicher, dass die Tränen einfach so liefen. Niemand konnte sich das erklären. Vor kurzem habe ich erfahren, dass man wegen mir auch einen Schulpsychologen kontaktierte. An einen persönlichen Kontakt zu mir kann ich mich nicht erinnern. Es war mir peinlich, weswegen ich meinen Eltern irgendwann sagte, ich würde nicht mehr weinen. Natürlich kam raus, dass dem nicht so war. Als ich es dann irgendwann schaffte, ich musste mich sehr darauf konzentrieren, wurde dann zum Thema gemacht, dass ich in den Pausen nicht mitspielte. Ich kannte die anderen Kinder aus meiner Klasse und ein paar waren auch meine Freundinnen, an andere hab ich mich immer versucht dran zu hängen. Obwohl ich alle kannte, wir auch schon zusammen gespielt haben, konnte ich es eine ganze Zeit in den Pausen nicht. Es war mir einfach zu viel. Ich weiß noch, wie sehr es mich ärgerte, dass man nicht sah, wie anstrengend es für mich war, nicht zu weinen, sondern nur, dass ich nicht mit spielte. Ich wurde immer wieder geärgert oder gehänselt. Ich war die Heulsuse, und man machte sich über mein Gewicht lustig. Ich verstehe bis heute nicht, warum Kinder das machen. Ich verstehe noch viel weniger, dass dieses Verhalten offensichtlich ganz normales Verhalten ist, und im Sinne einer normalen kindlichen Entwicklung ja fast schon erwünscht. Anhand solcher Situationen kann man ja üben und „wachsen“.

An der Mittelstufe rannte ich einigen Mädels regelrecht hinterher. Ich wollte unbedingt Teil einer Gruppe sein. Das ging leider total schief. Es gipfelte in fiesen Mobbingattacken. Ich hatte jeden Morgen Angst, zur Schule zu gehen (noch mehr, als in den Jahren davor), ging aber trotzdem, weil man das ja so macht. Damals bekam ich die ersten psychosomatischen Beschwerden. Ich hatte oft bedingt durch Angst und Stress furchtbare Magenkrämpfe.

Die Oberstufe war in Sachen Mobbing nicht viel besser. Allerdings gab es unter den Schülern auch mehr Individualität, so dass ich auch Menschen fand, mit denen ich mich anfreundete. Das machte es, zumindest zeitweise, erträglicher.

Ich fühlte mich also die meiste Zeit meines Lebens unsicher, negativ bewertet, nicht gut genug und allgemein hatte ich nie das Gefühl, dass ich so sein darf, wie ich bin. Im Grunde fühle ich mich noch heute oft so, oder um es vielleicht anders zu sagen, ich fühle mich noch heute sehr oft an dieses Gefühl erinnert. Das führt häufig zu regelrechten Panikzuständen und körperlicher Anspannung. Ich bin sehr schnell kurz vorm Meltdown und bekomme beinahe unmittelbar eine Schmerzattacke.

Ich fange erst langsam an zu verstehen, dass diese fehlende Akzeptanz über all diese Jahre, für mich regelrecht traumatisch war. Vor einigen Jahren sagte mir jemand, ich müsse das alles doch langsam mal hinter mir lassen. So einfach ist das aber gar nicht, weil sich das in allen möglichen Denkstrukturen in mir festgesetzt hat.

Ich kann beispielsweise bis heute nicht anerkennen, dass ich Dinge gut kann. Häufig denke ich, dass man mich zu unrecht positiv bewertet. Im Job hatte ich damals immer das Gefühl, dass irgendwann der ganze Schwindel auffällt, und dann alle merken, dass ich im Grunde nichts kann. Rational kann ich sagen, dass ich einiges im Leben durchaus gut und richtig mache, aber emotional kann ich das nicht annehmen. Ich habe wahnsinnig viele Ideen, was ich gerne an Projekten starten möchte, aber irgendetwas in mir sagt mir immer, dass ich es nicht schaffe und versagen werde. Dann bekomme ich so große Angst und Selbstzweifel, dass ich mir völlig lächerlich bei dem Gedanken vorkomme, solch eine Idee überhaupt umsetzen zu wollen.

Ein sehr großes Problem ist für mich auch, dass ich meine Gefühle nicht als berechtigt annehmen kann. Immer dann, wenn es mir nicht gut geht, ich depressiv bin, Ängste habe, aber vor allem wenn ich getriggert werde, bemerke ich, dass ich irgendwann anfange, mich dafür zu verurteilen. Wenn einem über etliche Jahre von den unterschiedlichsten Menschen gesagt wird, dass man sich doch nicht so anstellen so, dass man übertreibe, und wenn man dafür ausgelacht oder gedemütigt wird, dann passiert es irgendwann, dass man das glaubt. Zumindest ging es mir so. Ich finde meine Gefühle dann völlig überzogen und mein Verhalten albern und kindisch. Ich urteile über meine Gefühle in der Art, wie ich es von anderen erlebt habe. Das würde ich in der Form nie bei anderen Menschen machen. Ich würde immer sagen, dass Gefühle ihre Berechtigung haben und auch ernst genommen werden sollten. Ich würde nie jemanden für eine Depression verurteilen, oder für eine Phobie. Bei mir kann ich das meisterhaft. Ich schäme mich dafür, dass ich mich so dermaßen anstelle und in die Situation hineinsteigere. Ich kann mich selbst wahnsinnig gut verurteilen und von mir selbst genervt sein. Ich merke darin eine Umkehr meiner Gefühle, die ich nicht annehmen kann, dafür aber viel mehr Verständnis für diejenigen entwickle, die mir so begegnet sind. Ich nehme deren Gedanken über mich in einer Form an, wie ich es bei meinen eigenen nicht kann. Wenn Menschen mir dagegen positiv begegnen, dann kann ich nur sehr schwer darin vertrauen, dass diese Menschen mich nicht doch hintergehen und mir das Leben schwer machen werden.

So habe ich seit der Kindheit schon sehr starke Ängste verspürt, die sich später zu einer ausgewachsenen Angststörung entwickelten. Diese Ängste bezogen bzw. beziehen sich meist auf alles rund um soziale Kontakte. Ich hatte jeden Tag Angst vor der Schule, später vor der Arbeit. Jeden Abend hatte ich Angst, ins Bett zu gehen, da ja der nächste Tag dann unweigerlich bevor stand. Ich kann mich an keinen Tag in meinem Leben erinnern, an dem ich keine Angst hatte. Angst vor Konflikten, Mobbing, Zurückweisung. Um dagegen anzugehen, habe ich meist versucht, Verhalten zu kopieren und mich anzupassen. Gleichzeitig macht mir dieser Anpassungsdruck ebenso große Angst. Besonders merke ich das immer am Ende des Wochenendes oder eines Urlaubs bzw. der Ferien.

Ich habe weiter auch immer sehr große Angst davor, dass meine Freunde mich irgendwann fallen lassen. Über so viele Jahre war es immer so. Ich bin mir ziemlich sicher (rational betrachtet), dass mein Umfeld mir wohl gesonnen ist. Aber wenn ich meine Freunde zb. lange nicht sehe, dann beschleicht mich immer ein unsicheres Gefühl. Liegt es vielleicht daran, dass auch diese Person langsam genug von mir hat, genervt ist oder ich einfach anstrengend und nervig bin? Habe ich vielleicht etwas falsch gemacht? Überhaupt verstehe ich manche Situationen nicht oder nicht richtig. Auch kann ich den Kontext nicht immer erkennen. Es kann dann passieren, dass eine Reaktion von mir dann völlig falsch ist, einfach weil meine Einschätzung nicht stimmte. Die Gegenreaktionen verunsichern mich dann, zumal ich nicht weiß, was ich falsch gemacht habe. Es ist schon merkwürdig, weil es wirklich tolle Menschen sind, die ich mittlerweile in meinem Leben habe. Im Grunde geben sie mir auch keinen Anlass, an ihrer Freundschaft zu zweifeln. Die Zweifel, dass man mich nicht mögen könnte, sind aber ein zu großer Teil meines Denkmusters.

Seit meiner Diagnose will ich weg von diesem Gefühl, mich anpassen zu müssen, um akzeptiert zu werden. Es fühlt sich einfach falsch an, und letztendlich ist es dann ja auch keine wirkliche Akzeptanz. Das möchte ich hinter mir lassen. In dieser Hinsicht kann ich mittlerweile relativ gut zu mir und zu meinen Bedürfnissen stehen. Ich weiß ziemlich genau, woher meine Zweifel und Ängste kommen. Ich kann auch sehr gut erkennen, wann ich warum getriggert werde. Und obwohl ich das alles weiß, ich kann es emotional einfach nicht umsetzen. Es ist wie ein Teil in mir, der mir das einfach nicht zugestehen möchte.

Zudem ist es sehr anstrengend, einfach man selbst zu sein. Im Grunde weiß ich oft nicht einmal, wie ich wirklich bin. Und dann muss ich auch lernen, entsprechende Reaktionen auszuhalten.

Ich denke, diese beiden Dinge sind für mich neben meinen Diagnosen die größte Herausforderung. Die Entwicklung hin zu der Person, die ich wirklich bin, und Reaktionen anderer losgelöst von meinen Emotionen und Denkstrukturen betrachten zu können.