Wie sag ich es meinem Kind?

Nach eine Diagnostik und mit erfolgter Diagnose stehen Eltern vor der Frage, wie sie ihrem Kind erklären können, dass es AutistIn ist. Ich denke nicht, dass es da die eine richtige Vorgehensweise gibt. Denn so verschieden wie Kinder sind, so unterschiedlich empfänglich sind sie für solch eine Nachricht. Wichtig und unerlässlich finde ich allerdings, dass Eltern ihr Kind davon in Kenntnis setzen. Ein Kind hat ein Recht auf dieses Wissen. Autismus prägt wie kaum etwas anderes das ganze Erleben, wie man denkt, fühlt und verarbeitet. Kinder spüren genau das. Es mag zwar ein diffuses Gefühl sein, aber es ist da. Jedes Kind hat es verdient, zu einem positiven Selbstverständnis zu gelangen, mit der Diagnose. 

Als mein Kind mit 6,5 die Diagnose bekam, hatten wir bereits über einige Jahre etliche Termine bei ÄrztInnen absolviert, dazu Gutachten beim Gesundheitsamt für eine Integrationskraft. Bei all diesen Terminen ist der Blick aufs Kind ausschließlich defizitär, jedes Verhalten wird pathologisiert. Das merkt ein Kind. Bei uns sind Termine in der Art daher bis heute problematisch in der Durchführung. 

Nachdem die Diagnose stand, waren wir als Eltern sehr verunsichert, weil wir unser Kind sofort einbinden und informieren wollten, aber nicht wussten, wie wir das anstellen sollen. Die Angst, in dieser Situation etwas falsch zu machen, war sehr groß. Wir wollten unbedingt, dass unser Kind sich von jetzt an besser verstehen kann. Wir wollten positiv auffangen und begleiten, um ein möglichst gutes Selbstverständnis zu fördern.

Wir fragten zunächst die behandelnde Ärztin, ob sie uns hierbei unterstützen kann. Wir planten einen gemeinsamen Termin, bei dem sie unser Kind informieren und auch ein Stück weit aufklären sollte. Diesen Termin hat unser Kind quasi gesprengt. Von Anfang an war unser Sohn nicht bereit, sich auch nur wenige Minuten auf die Situation einzulassen. Also waren wir in dieser Frage sehr schnell auf uns alleine gestellt. Grundsätzlich kann ich es aber empfehlen, die behandelnden ÄrztInnen oder, falls bereits vorhanden, TherapeutInnen zu involvieren. Wichtig fände ich dabei, dass das Kind positiv begleitet wird, denn das fehlt ja meist bis zu diesem Zeitpunkt.

Wir waren durch diesen Termin also nicht wirklich weiter, als das im Vorfeld der Fall war. Wir entschieden uns dann zunächst, unser Kind erst einmal mit der rein sachlichen Information zu versorgen. Wie erklärten die absolvierten Termine damit, dass wir als Eltern gemerkt hätten, wie schwierig einige Situationen für ihn wären, und dass es ihm dann oft nicht gut ginge. Und wenn es einem Kind nicht gut geht, dann müssen Eltern versuchen, die Ursache dafür herauszufinden. Denn wenn man wüsste, was die Ursache ist, dann kann man ggf. Hilfe anbieten und das Kind entlasten. Uns war wichtig, dabei nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass Autismus immer für schlechte Gefühle oder Erlebnisse verantwortlich ist. Denn oftmals sind es ja auch die Rahmenbedingungen, die man so verändern und anpassen kann, dass ein Kind zu positivem Erleben gelangen kann. 

Da der Begriff „Autismus“ ja erst einmal recht abstrakt ist, versuchten wir im Alltag anhand von Beispielen zu erklären, was Autismus für unser Kind ausmacht. Wir beobachteten ganz genau, wann und wie unser Kind in bestimmten Situationen reagierte. Unsere Beobachtungen teilten wir dann mit unserem Kind. Wir fragten auch gezielt nach, und erfuhren so, dass unser Kind bereits sehr gut erkennen kann, welche Reize problematisch sind, und warum. Wassertropfen auf der fühlten sich beispielsweise an, wie tausend kleine Nadeln, die auf die Haut prasseln. Wir haben also anhand von Alltagssituationen aufgeklärt. Mit der Zeit wuchs so das eigene Verständnis für sich selbst.

Wir sprachen und sprechen immer wertfrei über Begriffe wie Autismus, Behinderung, Spezialinteresse. Da unser Kind regelmäßig Kindernachrichten schaut und in diesen auch wiederkehrend Themen wie Diskriminierung und Inklusion behandelt werden, sprachen wir auch immer wieder darüber und wie diese Themen im Bezug auf Autismus einzuordnen sind. 

Autismus ist bei uns zu Hause oft ein Thema, da sowohl unser Kind, als auch ich täglich damit konfrontiert werden. Wichtig ist uns dabei immer, dass wir unser Kind in seiner Wahrnehmung bestärken, und sie nicht absprechen oder klein reden. Wir haben für alle Mitglieder in der Familie Regeln, die auf die Bedürfnisse und Grenzen jeder einzelnen Person eingehen. Unser Kind darf seine Bedürfnisse immer aussprechen und kann sich auch sicher sein, dass wir versuchen, diese zu achten. Mittlerweile sind wir an dem Punkt, dass Autismus eine Selbstverständlichkeit hat, wie etwa die eigene Haarfarbe. Es gehört einfach dazu.

Wir hatten das unbeschreibliche Glück, dass unser Kind, trotz eines Schultraumas und erlebter Ausgrenzung zu einem positiven Verständnis von Autismus gelangen konnte. Nicht immer kann das gelingen, auch wenn die Eltern durchweg positiv begleiten, denn es sind ja oftmals nicht nur die Eltern, die Einfluss auf die Kinder haben. In Kita und Schule wird häufig schon sehr viel Druck ausgeübt, und Anpassung eingefordert. Wenn Kinder in diesem Umfeld zu viel Druck, Ausgrenzung und Ablehnung erfahren, ist genau dieses positive Verständnis in Gefahr. Kinder neigen dazu, die Schuld bei sich zu suchen, und sind zudem durch ihre Situation auf besonders viel Schutz und sicheren Raum angewiesen. Genau diesen Schutz und diesen sicheren Raum bieten viele Institutionen, wie Schule und Kita, leider zu oft nicht. Die Folge sind traumatisierte Kinder, die die Schuld bei sich suchen, die sich fragen, ob man ihnen ohne Autismus diese Form der Diskriminierung oder sogar Gewalt auch angetan hätte. In der kindlichen Vorstellung passiert es dann leider sehr schnell, dass Autismus in der Gesamtheit negativ gewertet wird. Stimming wird unterdrückt, Kopfhörer werden nicht getragen…, Hauptsache niemand merkt, dass man autistisch ist. Hauptsache, man macht sich nicht angreifbar. 

Genau deswegen müssen Eltern ihre Kinder möglichst positiv begleiten und aufklären. Trauer und Wut sind keine Gefühle, die man dabei reflektieren sollte, denn was kann ein Kind anderes aus dieser Situation ziehen, als dass es wegen Autismus für das Unglück der eigenen Eltern verantwortlich ist? Es gibt genug anderen Raum für die eigenen Gefühle und Ängste, die natürlich oftmals da sind. Aber der Moment der Aufklärung ist nicht der richtige Zeitpunkt. 

Anmerkung: Ich bin mir bewusst, dass nicht jedes Kind die Nachricht einer Diagnose erfassen kann. Der Umgang im Alltag mit dem Thema wird dennoch in jedem Fall ein Kind in seiner Entwicklung prägen. Eltern können sich jederzeit Rat bei ÄrztInnen, TherapeutInnen oder auch in Selbsthilfegruppen holen. Letztere können auch maßgeblich dazu beitragen, sich nicht alleine zu fühlen und zeigen oftmals auch andere Perspektiven auf.