Autismus und die Impflüge – oder: Warum ich als Autistin ein Problem mit der Impfdiskussion habe

Impfdiskussionen sind immer anstrengend. Sie werden hitzig geführt, meist wenig sachlich und faktenorientiert. Es werden die abstrusesten Quellen als Belege herangezogen, von YouTube bis zu recht bekannten Facebook-Seiten. Völlig egal ist hierbei, dass jede Person ohne Fachkenntnis solch ein Video online stellen oder so eine Seite erstellen kann. Es gibt unzählige Bücher aus dem esoterischen Bereich oder aus der Schwurbelecke, die angeblich darüber aufklären, wie gefährlich Impfen denn nun sei. Valide Quellen? Fehlanzeige. Aktuell empfinde ich es wirklich als unerträglich, mit welchen Verschwörungstheorien rund ums Impfen man mal wieder konfrontiert wird.

Dazu muss ich sagen, ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn Menschen sich nicht gegen alles impfen lassen, oder auch zb. ihre Kinder erst ab einem bestimmten Alter. Das hat meist Gründe, und die respektiere ich auch. Nicht jedeR kann geimpft werden, oder verträgt eine Impfung problemlos. Dass man sich dann nicht ohne Not impfen lässt, ist für mich nachvollziehbar. Darüber will ich auch gar nicht diskutieren.

Womit ich ein Problem habe, ist die permanente Vereinnahmung von Autisten für Anti-Impfpropaganda. Es werden die schlimmsten Geschichten und Theorien verbreitet. Wobei es Theorien eigentlich noch nicht einmal wirklich trifft, denn wenn man sich damit auseinandersetzt, wie es zu dieser Annahme kam, dass bestimmte Impfungen Autismus auslösen, kann man wirklich nur von einem schlechten Märchen reden.

Wie kam es dazu?

1998 veröffentlichte der britische Arzt (mittlerweile in Großbritannien mit einem Berufsverbot belegt) Andrew Wakefield zusammen mit einigen anderen ÄrztInnen einen Artikel, in dem er einen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Autismus herleitete. Grundlage hierfür waren zwölf (!) Fälle autistischer Kinder. (Wohlgemerkt, wenn wir von validen Studien reden, dann geht es um mehrere tausend bis hunderttausend Probanden).

Es gab in den darauffolgenden Jahren nicht eine Studie, die diesen Zusammenhang belegen konnte. Im Gegenteil gibt es eine Reihe von Studien, die offen legen, dass es eben keinen Zusammenhang gibt. (So wurden zb. in Dänemark die Daten aller Kinder, die zwischen 1999 und 2010 geboren wurden, ausgewertet. Geimpfte Kinder hatten im Vergleich zu ungeimpften Kindern kein erhöhtes Risiko für ASS.). Zudem stellte sich ein paar Jahr nach Veröffentlichung seines Artikels heraus, dass Wakefield von den AnwältInnen der Eltern dieser Kinder 55.000£ als Drittmittel erhalten hat. Er sollte den Zusammenhang zwischen dem MMR Impfstoff und Autismus belegen, da die Eltern eine Klage gegen den Hersteller des Impfstoffes anstrebten. Auch erhielt er eine Zahlung von mehreren Hunderttausend Pfund, bereits einige Zeit vor Veröffentlichung des Artikels. Einige Monate zuvor wurden zudem einige Patente für einen Alternativ-Impfstoff angemeldet. Letztendlich wäre dieser aber nur erfolgreich gewesen, wenn die herkömmliche MMR-Impfung in der Öffentlichkeit negativ wahrgenommen würde.

Weiter gibt es zumindest den dringenden Verdacht der bewussten Datenfälschung durch Wakefield. Die Vorwürfe werden mittlerweile durch das britische Ärzteblatt erhärtet, welches diese durch ein Gutachten prüfen lies. Auch soll Wakefield auf einem Kindergeburtstag seiner Kinder anderen Kindern Blut abgenommen und ihnen dafür Geld geboten haben.

In der Folge distanzierten sich einige Co-AutorInnen von dem 1998 erschienenen Artikel, dieser wurde im Jahr 2010 dann auch vollständig zurück gezogen. Ebenfalls im Jahr 2010 wurde ihm in Großbritannien seine Zulassung entzogen.

Es ging also überhaupt nicht darum, andere Menschen vor eventuellen Folgen zu schützen. Es ging um Profit. Ein gewonnener Prozess gegen den Hersteller und ein Patent auf einen alternativen Impfstoff hätte nicht zuletzt Andrew Wakefield überaus reich gemacht. Es ging hier einzig und allein um Geld und vermutlich eine gehörige Portion Selbstdarstellung.

Apropos Selbstdarstellung: 2016 und 2019 erschienen die Kinofilme Vaxxed und Vaxxed 2. Im ersten Teil führte Andrew Wakefield Regie. In dem Film wird Wakefield als Opfer dargestellt und allerlei Raum für Verschwörungstheorien gegeben. Produziert wurde der Film von einer Organisation, welche unter der Leitung von Wakefield steht.

Wakefields Vorgehen befeuert immer wieder die Entstehung von Verschwörungstheorien rund um das Thema Impfen, und ist in höchstem Maße unwissenschaftlich und unethisch.

Ein weiterer Aspekt: Immer wieder berichten Eltern davon, dass ihre autistischen Kinder auffälliges Verhalten zuerst kurz nach einer MMR-Impfung zeigten. Ähnlich war es auch bei einigen der 12 Kinder, die Wakefield als Beweis heranziehen wollte. Das wird von Impfgegnern natürlich gerne genutzt. Allerdings wird hier aus einer zeitlichen Korrelation zwangsläufig eine Zusammenhang hergestellt. Eine zeitliche Korrelation bedingt aber noch lange keinen Zusammenhang. Die ersten Anzeichen für Autismus werden häufig um den ersten Geburtstag herum offensichtlich (bei einigen früher, bei anderen später). Das entspricht genau dem Zeitpunkt, zu dem die meisten Kinder die erste MMR Impfung erhalten. Bei der ganzen Diskussion werden die Folgen einer Maserninfektion außer Acht gelassen oder billigend in Kauf genommen. Dass dabei nicht nur die eigenen Kinder gefährdet werden, sondern auch andere Menschen, die nicht geimpft werden können, wird nicht gesehen. Die Spätfolgen einer Infektion können verheerend sein, und bis zum Tod führen. Auch wenn natürlich nie ausgeschlossen werden kann, dass es zu einem Impfschaden kommen kann, so ist doch im Vergleich das Risiko bei einer Maserninfektion (Komplikationen und Spätfolgen) um einiges höher.

Dahinter steckt weiter oft auch eine grundlegend ablehnende Haltung gegenüber Pharmakonzernen. Funfact am Rande: Pharmafirmen verdienen an kranken Menschen, und solchen die lebenslang unter den Folgen einer Masernerkrakung leiden viel mehr, als an geimpften Menschen. Ich selbst sehe die Pharmaindustrie auch durchaus nicht unkritisch. Es gibt da sicher einige Dinge, die man bemängeln kann. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass hier schlicht kein Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus hergeleitet werden kann.

Hinzu kommt, es finden sich immer wieder einflussreiche Personen, auch in der Politik, die Wakefields Behauptungen unterstützen und verbreiten. So stellte beispielsweise auch Donald Trump eine Verbindung zwischen der MMR-Impfung und Autismus her. Trump gilt als Impfgegner, und unterstützt die Organisation Autism Speaks, welche innerhalb der autistischen Community extrem umstritten ist.

Info: Autism Speaks steht für eine höchst ableistische Sichtweise auf Autismus. So finanziert Autism Speaks auch Forschungen rund um Heilmittel und Pränataldiagnostik. Die meisten Spendengelder, die Autism Speaks erhält, fließen in die oben genannte Forschung, und kommen nicht oder kaum den Eltern bzw. deren Kindern in Form von Unterstützungsmaßnahmen zugute. Auf Veranstaltungen ist immer wieder die Rede davon, dass man von einer Zukunft träume, in der Autismus keine Rolle mehr spiele. Zudem propagiert Autism Speaks die schädliche Therapieform ABA (Applied Behavior Analysis), welche zum Ziel hat, autistisches Verhalten bei Betroffenen maximal zu reduzieren.

Aus autistischer Sicht

AutistInnen und große Verbände distanzieren sich in einer Vielzahl von der „Theorie“, dass die MMR-Impfung Autismus auslösen soll. Das interessiert ImpfgegnerInnen aber herzlich wenig. Sie setzen sich permanent über Forschung und die Selbstbestimmung von AutistenInnen hinweg, und missbrauchen diese gegen ihren Willen für ihre Anti-Impfpropaganda. Es ist ihnen egal, was AutistInnen dazu sagen, und es ist ihnen egal, dass die Forschung diese „Theorie“ schon mehrfach widerlegt hat. Es wird unumwunden daran festgehalten, dass die MMR-Impfung Autismus auslöst. In der Folge werden Eltern betroffener Kinder massiv verunsichert, sowie die Eltern, die eine Entscheidung für oder gegen das Impfen treffen müssen.

Ich finde, AutistInnen haben Besseres verdient! Denn hinter all dem steht letztendlich die Aussage: lieber ein totes Kind, als ein autistisches Kind. AutistInnen sind nicht das Übel der Welt, das es zu vermeiden und auszurotten gilt. Man muss sich mal vorstellen, mit welcher Sicht auf Autismus man Betroffenen damit begegnet, mit welcher Sicht auf Autismus manche Eltern ihren betroffenen Kindern begegnen. Wir sind kein Impfschaden!

Ich bin es leid, diese wirklich teilweise menschenverachtenden Aussagen zu lesen. Ich bin es leid, wie junge Eltern verunsichert werden. Es macht mich wütend, wenn ich von einem Anstieg der Maserninfektionen lese.

Jede Diskussion mit Impfgegnern läuft ähnlich ab. Man sei blind, und soll sich doch endlich mal informieren (am besten auf YouTube oder ähnlichen Plattformen). Man selbst würde kritisch hinterfragen (seltsam nur, dass all die fragwürdigen Quellen, die dann angebracht werden, in ihrer Gänze überhaupt nicht kritisch hinterfragt werden). Es werden schlicht keine Beweise geliefert und sämtliche Fakten ignoriert.

Wie bitte kann man auf Grundlage dieser ganzen Vorgeschichte, den aktuellen Forschungsergebnissen und den zahlreichen Weigerungen von AutistInnen und Verbänden, sich für diesen Betrug vereinnahmen zu lassen, noch ernsthaft die „These“ vertreten, dass die MMR-Impfung (oder aus Sicht von Verschwörungstheoretikern jede beliebige andere Impfung) Autismus auslöst? Das will mir nicht in den Kopf.

In Zeiten von Covid-19 haben VerschwörungstheoretikerInnen mal wieder Hochkonjunktur. Und natürlich, wer hätte auch was anderes erwartet, geht es auch ums Impfen. Und irgendwer haut irgendwann wieder den angeblichen Bezug zu Autismus raus. Ohnehin bin ich mir relativ sicher, dass ein relativ großer Teil der MMR-KritikerInnen auch bei denen zu finden ist, die eine eventuelle Impfung gegen Covid-19 ablehnen. Es würde mich nicht wundern, wenn das nahtlos ineinander übergeht.

Ich habe mich da stellenweise in Diskussionen stark aufgerieben und es tut mir einfach nicht gut. Ich vermisse den Respekt uns gegenüber und auch für die Wissenschaft. Ich vermisse, dass man uns zuhört. Ich hasse es, wie man über uns hinweg geht. Deswegen werde ich da auch keine Kompromisse mehr eingehen. Gerade online werde ich das auf meinem Profil und auf meinem Blog nicht mehr dulden. Hierzu durfte ich mir in der Vergangenheit schon anhören, dass das ja immer noch ein freies Land sei, man dürfte seine Meinung noch sagen, wir sind ja noch nicht wieder im Dritten Reich angekommen. Ähm ja…Zwei Sachen: diese unsäglichen Nazi-/ und Holocaust-Vergleiche sind nichts anderes als Relativierung von Nazi-Verbrechen. Da bewegt man sich moralisch und ethisch auf ganz dünnem Eis. Und dann die Sache mit der Meinungsfreiheit: Wir reden hier davon, dass Falschaussagen verbreitet und die Wissenschaft geleugnet wird. Das ist keine Meinung! Wenn ich sagen würde, ein Apfel wäre eine Banane, dann wäre das auch falsch. Meinung und Fakten sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Da halte ich mich doch lieber an Fakten, und nicht an irgendwelches Geschwurbel, was im Zweifelsfall für andere Menschen sogar richtig gefährlich werden kann. Wir alle wollen den Schutz einer Gesellschaft genießen. Das bringt immer auch Pflichten mit sich. Das Recht auf Selbstbestimmung endet da, wo es andere gefährdet. Steht übrigens auch im Grundgesetz. Ja genau, DAS Grundgesetz mit dem VerschwörungstheoretikerInnen auf Demos vor der Nase von Polizisten rumwedeln.

Und jetzt geh ich mir Popcorn holen. Und übrigens: wenn die Impfung gegen Covid-19 kommt, werde ich mir dieses Update nicht entgehen lassen.

Anmerkung: ich habe mich hier hauptsächlich auf das Thema Autismus im Zusammenhang mit Impfen beschränkt. Es gibt noch weitere Verschwörungstheorien oder Fake News, die rund um das Thema Impfen verbreitet werden, die sich aber auch mit wenigen Klicks aufklären lassen (zb. Quecksilber in Impfungen, Verwendung von abgetriebenen Föten bei der Herstellung (kein Witz, das wird immer wieder behauptet), Implantate/Chips zur Steuerung der Bevölkerung…), aber das würde hier zur weit führen. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denke aber, die wichtigsten Infos hier zusammengetragen zu haben. Ich möchte hier niemandem zu nahe treten, es geht hier nicht um individuelle Meinungen, sondern um Fakten, auch wenn ich mir stellenweise einen sarkastischen Unterton nicht verkneifen konnte. Ich möchte aber auch aufzeigen, wie man Autisten in dieser Diskussion begegnet und wie man unser Dasein wertet. Respektiert bitte auch, wie das für uns sein muss.