Soziale Netzwerke sind nichts für schwache Nerven. Wer soziale Netzwerke insbesondere bei polarisierenden Themen nutzt, der kennt das: Drohungen, Beleidigungen, Herabwürdigungen. Das sind die offensichtlichen Dinge, die eigentlich für jedermann sichtbar sind. Hin und wieder kommt es auch zu Verurteilungen, aber in der Regel kommen solche Menschen ungeschoren davon.
Aber darüber will ich gar nicht schreiben. Mir geht es vielmehr um latenten, immer vorhandenen Ableismus in den sozialen Netzwerken. Dieser ist mal mehr und mal weniger sichtbar, aber im Grunde zeigt er ein ganz gutes Abbild unserer Gesellschaft. Machen wir uns nichts vor, Ableismus, in welcher Form auch immer, gehört zu unserem Alltag.
Dieser tägliche Ableismus zieht sich eigentlich durch alle Schichten, es sind nicht nur Leute aus den Reihen der AfD, die sich beispielsweise besonders stark darin fühlen, Greta Thunberg mit Hass zu überziehen. Man findet sowas auch gerne bei Leuten aus dem linkspolitischen Spektrum. Ich weiß das leider, weil ich mich selbst in solchen Gruppen bewege.
Und da ich meine Klappe nicht halten kann, dürft ihr jetzt gerne an solchen Beispielen teilhaben:
- Vor einiger Zeit machte ein Tweet die Runde, in dem jemand ganz offen schrieb, man müsste Autismus unter Strafe stellen. Zugegeben, die Dame wollte offensichtlich trollen und vielleicht ein bißchen „fame“ werden, das ganze aber auf Kosten und zu Lasten von AutistInnen.
- Das Nutzen von Schimpfwörtern wie „Spast/Spati“ oder Aussagen à la „das ist ja voll behindert“. Ich denke, das kenne wir alle und es bedarf an dieser Stelle keine gesonderte Erklärung.
- Behinderungen werden negativ gewertet, und nicht als Teil von Diversität angesehen. Am „Besten“ ist es, wenn man einem Menschen seine Behinderung nicht ansieht, er sich normal verhält oder keine sichtbaren Merkmale seiner Behinderung aufweist (*Ironie off*)
- Völliges Ignorieren von Menschen mit Behinderungen, wenn sie sich zu ihren spezifischen Themen äußern. Das ist etwas, was mir in Kommentarspalten häufig passiert. Ich oute mich als Autistin und kommentiere ein autismusspezfisches Thema. Meist muss man, was erst mal nicht schlimm ist, einige Dinge richtig stellen. Anstatt jedoch mit mir ins Gespräch zu gehen, werde ich dann komplett ignoriert, auf meine Einwände wird nicht eingegangen und es wird weiterhin an falschen Aussagen festgehalten.
- Dicht danach kommt das Auslachen über den Reaktionsbutton. Dies passiert besonders dann, wenn man sich „beschwert“ oder unbequem wird, Dinge anprangert.
- Diverse Challenges zb. über TikTok. Vor einiger Zeit gab es dort die #AutismChallenge. Hier wurden behinderte/autistische Menschen nachgeäfft oder die Betroffenen selbst wurden derart unter Stress gesetzt, dass sie einen Meltdown erlitten. Dies wurde dann gefilmt, und online auf der Plattform zur Verfügung gestellt. Menschen wurden in intimsten Situationen ihres Lebens gezeigt und bloßgestellt. TikTok löscht die Videos mit dem entsprechenden Hashtag, doch wurden die Videos dann einfach ohne den Hashtag wieder hochgeladen.
- Etwas, was sehr häufig passiert ist, dass krude Thesen über Autismus verbreitet werden. Es gibt ja nun mal leider sehr viele Vorurteile über Autismus, die sich hartnäckig halten. Man kann den meisten Leuten erst mal keinen Vorwurf deswegen machen, denn sie wissen es meist nicht besser. Aber häufig werden diese Vorurteile genutzt, um negative, vermeintlich autistische Verhaltensweisen zu skizzieren. Autisten werden so in ein schlechtes Licht gerückt. Beispielsweise wird die Fähigkeit zur gegenseitigen Kommunikation gänzlich angesprochen, Verhalten wird als exzentrisch, egozentrisch, narzisstisch klassifiziert. Auch werden diese Vorurteile dann quasi als entwaffnendes Argument im Gespräch genutzt. Sehr häufig passiert das, wenn AutistInnen vorgehalten wird, sie wären nicht fähig zur Empathie oder würden nur in schwarz-weißen Denkmustern festhängen.
- Verweist man auf Inklusion und ein Recht auf Teilhabe, kann man nahezu entwürdigende Erfahrungen machen. In den Kommentarspalten kann man immer sehr gut beobachten, wie Forderungen eigentlich immer als völlig überzogen angesehen werden. „Was wollt ihr denn noch?“ oder „Ihr wollt immer eine Extrawurst“ sind die gängigen Aussagen. Als würde anderen dadurch etwas weg genommen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich einmal in einer Gruppe einen Post schrieb: Ich war enttäuscht darüber, dass mein Sohn nicht in den hiesigen Sportverein zum Trampolinturnen gehen durfte, ohne Kennenlernen. Ich wäre sogar dabei geblieben. Ich wurde dann darüber belehrt, dass man ja auch an die anderen Kinder denken müsse und gerade bei Mannschaftssportarten ginge das ja gar nicht. Das hätte dann ja was von „Hauptsache der Autist hat Spaß“, und der Rest müsse dann darunter leiden. Es wurde gar nicht in Betracht gezogen, dass ein behindertes Kind auch Stärken hat und durchaus auch eine Bereicherung für eine Gruppe sein kann. Ein behindertes Kind ist per se schon eine Belastung für solche Menschen.
- Werbung in den sozialen Netzwerken für zweifelhafte und schadhafte Therapiemethoden und Organisationen. Bei Autismus wären das insbesondere Seiten und Gruppen, in denen ABA angepriesen wird und Seiten die dubiose Heilversprechen mit MMS machen. Dazu jegliche Werbung für Organisationen wie Autism Speaks.
- Impfgegnerpropaganda und andere Verschwörungstheorien. Es ist vielen vielleicht nicht klar, aber AutistInnen haben es nicht verdient, dass man ihnen so begegnet, als wären sie das Übel der Welt, das es unbedingt zu vermeiden gilt. Zudem wollen sie einfach nicht für eine Agenda wie diese missbraucht werden. Das interessiert viele Menschen aber schlicht nicht.
- Memes mit eindeutigen Botschaften: ein ganz schlimmes Meme sah ich vor einiger Zeit auf Facebook. Darauf war jemand zu sehen, der gerade ein autistisches Kind überfahren hatte, sich damit rühmte und sich des Danks der Nachbarschaft sicher war.
- Aussagen wie „Stell dich nicht so an“ oder „du ruhst dich auf deinem Autismus aus bzw. nutzt ihn als Ausrede“. Die Liste könnte man jetzt ewig weiter führen, aber ich denke, es ist klar, was ich damit meine.
- Die sogenannten „Pity Parents“ und andere Angehörige, die die Behinderung ihrer Kinder als Bürde und Last sehen, der sie sich aber heroisch entgegen stellen. Menschen, die nicht müde werden zu erklären, wie schlimm ihr Leben mit einem behinderten Kind ist (nur zur Erklärung: ich meine damit nicht, dass Eltern und Angehörige nicht auch einer belastenden Situation ausgesetzt sein können und dies nicht auch sagen dürfen.). Es gibt ganze Gruppen, in denen sich gegenseitig mit individuellen Leidensgeschichten hochgepuscht wird. Dabei geht es weniger um Lösungswege im Sinne der Betroffenen, sondern schlicht um Selbstdarstellung.
- Aussagen von Eltern wie: „Euch wünsche ich so ein Kind auch mal“. Das ist zunächst ein vielleicht nachvollziehbarer Impuls, wenn man auf Unverständnis im Alltag trifft. Aber autistische Kinder und solche mit zb. ADHS sollten nie eine Strafe für intolerante Menschen sein müssen, und es ist auch nicht ihre Aufgabe, aus ihren Mitmenschen ein tolerantes Umfeld zu machen.
- Hasskommentare, Drohungen, Mord- und Gewaltphantasien gegen Menschen mit Behinderungen, die in der Öffentlichkeit durch ihr vehementes Auftreten als unbequem angesehen werden. Ein prominentes Beispiel ist Greta Thunberg, und ich denke, das muss ich nicht weiter ausführen. Jeder kennt die Hassbotschaften, mit denen sie überschüttet wurde.
- Klassisches Mobbing: sich lustig machen über das Aussehen, Verhalten oder Gebrechen von Menschen mit Behinderungen. Vielleicht erinnern sich manche über die Gestik von Donald Trump, als er einen Journalisten nachäffte. Solche Dinge passieren auch abseits von Challenges immerzu.
- Das Negieren und Kleinreden vom Erleben Betroffener. Es gibt unzählige Beispiele dafür, sie alle haben eines gemein: Betroffene werden schlicht nicht ernst genommen. Dies kann den Leidensdruck durch die Behinderung betreffen, aber auch die Kompetenzen, die man mit bringt . Ebenso werden häufig individuelle negative Erfahrungen mit Inklusion herunter gespielt. „Das müsse man doch verstehen, man kann eben nicht alles haben und soll sich mit dem zufrieden geben, was man hat“.
- Das Absprechen von Kompetenzen. Manche Menschen scheinen der Meinung zu sein, dass Menschen mit Behinderungen nichts können, keinerlei Kompetenzen mit bringen und die Gesellschaft nicht bereichern können. Sie reduzieren Betroffene auf ihre Defizite und nutzen diese gegen sie. So sprechen sie ihnen Teilhabe und Selbstbestimmung ab.
- Der Ruf nach Euthanasie. Gerade aus dem rechten Spektrum kommen immer wieder Impulse, dass es doch besser wäre, behinderte Kinder nach der Geburt (oder besser schon in der Schwangerschaft) zu ermorden. Denn behinderte Kinder will man weder sehen noch überhaupt deren Existenzrecht anerkennen. Es gibt auch weniger „offensichtliche“ Aussagen wie: hätte man das nicht vorher wissen können?
Ich könnte die Liste sicher ewig fortführen. Gerade auch wenn man tiefer in die Thematik einsteigt, gibt es Dinge, die viele Betroffene gerne beachtet hätten, wie die Verwendung bestimmter Begriffe oder Symbole. Aber um diese Dinge geht es hier nicht einmal. Es gibt so viele vermeintliche Kleinigkeiten, die mir permanent im Alltag auffallen. Und während ich das so schreibe, sehe ich es schon vor mir, wie einige denken, dass ich übertreibe. Nichts darf man mehr sagen, gell? Aber es sind viele kleine und große Respektlosigkeiten und reelle Diskriminierungen, die ich mehrfach am Tag lesen muss. Kaum einer denkt darüber nach, wie solche Aussagen bei Betroffenen ankommen. Manchmal wird sich vielleicht noch darüber empört, aber die wenigsten Menschen müssen ja damit leben. Aber Sprache hat unheimlich viel Einfluss und ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Das ist wie die Diskussion um das „Z……Schnitzel“, es verletzt die meisten Betroffenen und das sollte man akzeptieren und im Umgang respektieren. Es gibt kein Recht auf einen herabwürdigenden Umgang mit Betroffenen.
Leider ist es mittlerweile so, dass die Grenze dessen, was man sagen darf, deutlich ausgeweitet wurde. Die Menschen wundern sich über die zunehmende Verrohung von Sprache, Werteverfall und Respektlosigkeiten im Alltag. Mich wundert das im Grunde so gar nicht, denn viele Menschen sind auch keine wirklichen Vorbilder mehr. Sie praktizieren Ausgrenzung und Diskrimierung täglich in den sozialen Netzwerken, bedrohen und beschimpfen diejenigen, die das anprangern und fühlen sich ihrerseits als Opfer einer moralisierenden politischen Korrektheit.
Ehrlich gesagt sehe ich es nicht als meine Aufgabe, solche Menschen zu pampern und ihnen auch noch Verständnis entgegen zu bringen. Damit erreiche ich nichts, keine Inklusion und keinen Abbau diskriminierender Strukturen auf so vielen Ebenen. Aktivismus muss unbequem sein, sonst kann man es gleich lassen. Also bleibt laut und selbstbestimmt. Lasst euch nicht einreden, dass ihr überreagiert, empfindlich seid und euch anstellt. Wer so etwas sagt, ist bereits Teil des Problems.