So ziemlich jeder Mensch hat Dinge, die er gerne und darum öfter oder immer wieder tut. Bei den meisten Menschen handelt es sich dabei um ein, zwei oder vielleicht auch drei Dinge im Leben. Bei mir und vielen anderen autistischen Menschen ist das anders. Wiederholungen sind essenziell, gehören zu unserem Alltag und sie sind was Tolles. Ich kann absolute Erfüllung und Befriedigung darin finden. Es ist für mich überhaupt nicht langweilig und ich muss deswegen erst recht nicht bemitleidet werden. Das heißt nicht, dass ich nicht von Zeit zu Zeit auch mal etwas Neues versuche, das ich so nicht kenne. Das tue ich aber nur sehr eingeschränkt, und wenn ich es doch einmal tue, bin ich, zumindest in bestimmten Bereichen, fast immer enttäuscht. Ich hätte also häufig auf dieses neue Erlebnis verzichten können. Oft ist es auch so, wenn ich beispielsweise ein neues Restaurant probiere, schaffe ich das nicht alleine. Ich habe eine wahnsinnig schlechte Orientierung und an unbekannten Orten werde ich schnell nervös.
Ich persönlich kann nicht wirklich verstehen, warum man immer wieder neue Dinge ausprobieren möchte. Zum einen ist es bei vielen Dingen wirklich so, dass ich viel Zeit benötige, um mich darauf einlassen zu können. Und damit meine ich wirklich viel Zeit. Neue Dinge machen mir Angst und geben mir entsprechend keine Sicherheit. Man weiß nie, wie man mit neuen Dingen zurecht kommt, welches Ergebnis man zu erwarten hat. Bei manchen Dinge geht das soweit, dass ich mich weigere, sie überhaupt auszuprobieren. Bei Lebensmitteln ist das sehr stark. Ich werde mit Sicherheit in meinem Leben nie eine Artischocke versuchen. Bei Lebensmitteln ist die Angst vor einem negativen Geschmackserlebnis so groß, dass es einfach nicht geht. Früher musste ich Dinge essen, die ich hasste und vor denen ich einen großen Ekel hatte. Diesen Ekel will ich in meinem Leben nie wieder spüren. Mein armer Mann muss deswegen darauf verzichten, zu Hause Rosenkohl zu essen.
Gleichzeitig kann ich Lebensmittel und Gerichte, die ich gerne mag, immer und immer wieder essen. Ich könnte mich von fünf Hauptgerichten ernähren, und würde nichts vermissen. In einem Restaurant bestelle ich grundsätzlich die gleichen Gerichte. Warum etwas Neues probieren, wenn es doch etwas gibt, was mich wirklich glücklich macht? Früher hat mein Mann das öfter auch mal belächelt und gewitzelt, auf eine liebevolle Art. Da er seine Abwechslung braucht, essen wir häufig unterschiedliche Gerichte. Insbesondere in stressigen und belastenden Zeiten, brauche ich meine bevorzugten Gerichte mindestens einmal die Woche. Dann gibt es noch Lebensmittel oder Getränke (zum Glück trifft das nicht auf Alkohol zu, im Gegenteil trinke ich schon lange keinen Alkohol mehr), die ich quasi über Monate hin konsumiere. Es muss beispielsweise immer das gleiche Brot sein, der gleiche Jogurt oder das gleiche Müsli. Im Moment sind es Nüsse. Es geht dabei nicht nur um den Geschmack. Ich mag auch besonders gerne die Struktur von bestimmten Lebensmitteln. Das Gefühl beim Draufbeißen oder das Geräusch, das dabei entsteht. Genau so kann ich ein Lebensmittel genau deswegen zutiefst verabscheuen, Ananas beispielsweise. Ich kriege schon am ganzen Körper Gänsehaut, wenn ich an diese merkwürdige Struktur denke. Gerade bei Lebensmitteln ist es zudem auch so, dass sehr viele unterschiedliche Reize auf einmal zusammen kommen. Die Optik (also der visuelle Reiz), der Geruch, die Haptik, die Konsistenz, der Geschmack natürlich, aber auch der Nachgeschmack. Es gibt also bei einem einzigen Lebensmittel eine ganze Reihe an Dingen, die mich sensorisch entweder überfordern oder aber zufrieden stellen können.
Genauso geht es mir mit vielen anderen Dingen, Lebensmittel sind bei weitem nicht der einzige Bereich, in dem ich permanente Wiederholungen anstrebe.
Ganz besonders wichtig sind mir hierbei auch Medien jeglicher Art. Filme und Serien schaue ich oft in Dauerschleife und immer wieder von vorne bis zum Ende durch. Manchmal sind es nur einzelne Szenen, die ich mir immer wieder raus suche, aber oft bin ich einfach so fasziniert von der Geschichte, die erzählt wird und von den Charakteren. Filme und Serien sind ähnlich wie Computerspiele für viele autistische Menschen etwas, wobei sie sehr gut abschalten können. Die Flucht in eine imaginäre Welt mit all ihren Facetten hilft dabei, dem permanent empfundenen Alltagsstress zu entkommen und ihn auszublenden. Wenn mich eine Geschichte derart packt, kann ich mich den ganzen Tag damit beschäftigen, Videos dazu auf YouTube schauen, Artikel dazu lesen oder eben immer wieder aufs Neue in die Geschichte eintauchen. Es wird eigentlich nie langweilig, kann aber irgendwann zu einer Sättigung kommen. Die selbe Erfahrung habe ich mit Büchern gemacht. Es gibt Bücher, die ich bestimmt 15-20 mal hintereinander gelesen habe, ohne ein anderes Buch dazwischen. Meist muss ich meine Exemplare dann auch irgendwann ersetzen, da sie zu abgenutzt sind. Natürlich muss es die gleiche Ausgabe sein, denn bei überarbeiteten Auflagenkann es passieren, dass der Text minimal abweicht. Das geht für mich überhaupt nicht und zerstört eigentlich mein komplettes Leseerlebnis. Ich weiß noch, als ich einmal versehentlich eine neue Ausgabe von Tolkiens „Herr der Ringe“ gekauft habe. Als ich das erste mal über eine entsprechende Textpassage stolperte, war ich so wütend, dass ich nicht mehr weiter lesen konnte. Ich kann auch gar nicht sagen, wie oft ich schon Diablo III auf der XBox durch gespielt habe. Allerdings hat das Spiel durch diverse Updates seinen Reiz für mich verloren. Genauso höre ich die gleichen Lieder oder Playlisten immer und immer wieder.
Die meisten Menschen lesen ein Buch oder schauen eine Serie, warten gespannt auf einen neuen Teil oder eine neue Staffel und kennen dieses Gefühl, wenn die Geschichte schließlich zu Ende erzählt ist. Tja, ich fange in dem Fall immer und immer wieder von vorne an. Und ich liebe es. Bei uns zu Hause betreiben mein Sohn und ich das schon fast exzessiv. Ich glaube, mein Mann kann das nicht so wirklich verstehen und ich muss zugeben, ich fühle mich dabei manchmal auch etwas ertappt. Ich weiß ja, dass solche Dinge im allgemeinen eher etwas belächelt werden. Gerade auch wenn wir Dinge gemeinsam schauen ist es manchmal gar nicht so leicht, einen Kompromiss zu finden. Ich als diejenige, die ihre liebsten Filme eigentlich ständig schauen möchte, und mein Mann, der tatsächlich gerne Neues ausprobiert oder zumindest lieber etwas mehr Abwechslung hätte. Für ihn bricht auch keine Welt zusammen, wenn Netflix mal wieder etwas aus dem Programm nimmt. Mein Sohn und ich dagegen können dann schon sehr darunter leiden und es muss immer schnellstens Ersatz her.
Ich unterhalte mich auch gerne über dieselben Themen. In meiner Kindheit hörte ich von anderen oft den Vorwurf, ich würde mich ständig wiederholen und immer das selbe erzählen. Das ging so weit, dass Menschen sich von mir distanzierten und das zum Anlass nahmen, mich zu verspotten. Das Wiederholen von Aussagen war ein Aspekt, weswegen andere mich anstrengend fanden. Der Punkt ist einfach, ich habe eben meine bevorzugten Thermen, und wenn ich mich zu diesen Themen unterhalten kann, finde ich das sehr befriedigend.
Früher war ich in meinen Aktivitäten längst nicht so „einseitig“. Ich war mehr unterwegs und konnte mich auch unbekannten Dingen leichter stellen. Das ist mittlerweile für mich ein kaum überwindbares Hindernis geworden. Mich auf neue Dinge einzulassen fällt mir extrem schwer. Dennoch vermisse ich nichts. Wie gesagt, ich mag meine Wiederholungen, sie langweilen mich nicht und sie erfüllen auch den Zweck, mir Sicherheit zu geben. Ich denke, je größer die Anforderungen und die Verantwortlichkeiten an mich wurden, desto mehr habe ich das gebraucht. Ich verspüre also keinen Leidensdruck, weil mir irgendetwas fehlt. Im Gegenteil, sind diese Wiederholungen sogar eine Art von Skill oder Stimming. Sie helfen mir durch den Alltag. Ich kann dadurch tatsächlich entspannen und Stress abbauen. Denn all diese Dinge sind ja auch mit für mich positiven Reizen besetzt. Sei es ein Geschmack, ein Geruch, eine Emotion, ein akustischer oder visueller Reiz. Ich kann diesen Reiz selbst setzen und somit kontrollieren. Das macht ihn so besonders wertvoll im Gegensatz zur ständigen Reizüberflutung, der man sonst ausgesetzt ist. Diese kann man nicht immer steuern. Da tut es gut, etwas an der Hand zu haben, was sich nicht der eigenen Kontrolle entzieht. Im Grunde kann man das auch schon als eine Art Stimming bezeichnen. Wiederholungen erfüllen genau diesen Zweck perfekt.
Deswegen finde ich es auch so fatal, wenn in einigen Therapien wert darauf gelegt wird, dass AutistInnen, insbesondere Kinder, sich auch mal mit Alternativen (ein anderes Bild malen, ein anderes Spiel spielen, ein anderes Lied hören…) beschäftigen. In der Regel sind dies Dinge, deren Wiederholungen ohne weiteres umsetzbar sind. Da ist wieder das Problem, dass neurotypische Menschen eine bestimmte Vorstellung davon haben, wie ein erfülltes Leben auszusehen hat. Dass autistische Menschen durch diese Wiederholungen möglicherweise nichts vermissen, scheint gar nicht vorstellbar zu sein. Problematisch wird es eventuell nur dann, wenn Wiederholungen die Möglichkeiten zur Teilhabe einschränken. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein autistisches Kind nur von einem bestimmten Teller isst. Dieser Teller steht aber nicht immer und überall zur Verfügung oder kann auch mal kaputt gehen. Was macht man dann? Wiederholungen sollen Sicherheit geben und tun dies sehr oft auch, aber sie sollten nicht derart einschränken, dass ein vernünftiger Tagesablauf nicht mehr möglich ist und es ggf. auch zu Leidensdruck kommt. Aber alles andere, was einem autistischen Menschen hilft und gut tut, gehört nicht eingeschränkt oder abgewöhnt. Ohnehin sollte man als pädagogische oder therapeutische Fachkraft immer die Selbstbestimmung der KlientInnenn im Blick haben. Im Gegenteil, ist es doch eigentlich wünschenswert, dass AutistInnen etwas haben oder finden, dass ihnen derart viel Halt und Sicherheit gibt.
Am wichtigsten ist mir, dass man deren Tragweite für mich und viele andere AutistInnen anerkennt, und sie nicht belächelt. Dann wird es für mich unangenehm und ich habe das Gefühl, das heimlich machen zu müssen. Ich fühle mich ertappt und kann es nicht mehr so gebießne, wie ich möchte und es bräuchte. Ich weiß, das müsste ich nicht. Ich weiß aber auch, dass viele Menschen so etwas sonderbar, anstrengend und mitunter auch bizarr finden. Es wird belächelt, nicht ernst genommen, oder das Umfeld reagiert genervt. Außerdem denken einige Menschen, man müsste uns aus diesem trostlosen Dasein heraus holen, uns nur Alternativen aufzeigen oder gar aufzwingen. Aber vieles in unserem Leben ergibt durchaus Sinn und erzeugt auch keinen Leidensdruck. Ich liebe diesen Teil an meinem Autismus und ich möchte ihn nicht missen!