Autismus und Partnerschaft – ein Mitleidsfaktor?

Vor einiger Zeit las ich auf Facebook einen Artikel von Spiegel-Online. Das Thema war „ungleiche“ Partnerschaften. In diesem Falle ging es um eine Frau mit stark ausgeprägter Hochsensibilität und ihren Partner. Der Artikel ist Teil einer ganzen Reihe, bei der Menschen von ihren „ungleichen“ Partnerschaften berichten. Es wurden noch weitere Menschen gesucht, die aus ihrem Alltag erzählen. Zunächst dachte ich, das wäre doch mal ein interessantes Thema für mich. Zumal es meist nur Berichte von Paaren gibt, bei denen der Mann autistisch und die Frau neurotypisch ist. Es gibt nahezu keine Berichte, in denen es andersherum ist. Auch von gleichgeschlechtlichen oder queeren Partnerschaften liest man in dieser Hinsicht nichts. Aber dann las ich die Kommentare. Und ich verwarf direkt den Gedanken, mich dazu zu äußern.

Ich will mich auch hier nicht direkt zu meiner Partnerschaft äußern, sondern darüber, wie Partnerschaften wie unsere häufig gesehen werden. In den Kommentaren bei Spiegel-Online wurde dem Partner entweder Mitleid bekundet, oder aber er wurde dafür, dass er es mit dieser Frau „aushält“ heroisiert. Für sowas müsse man schon ein besonders starker Mensch sein, denn (so klang es unterschwellig immer mit) sonst wäre er gar nicht in der Lage, mit dieser Frau eine Partnerschaft zu führen. Kaum einer der Kommentatoren kam auf die Idee, dass die Frau ihrem Partner auch etwas zu bieten hat. In fast jedem Kommentar schwang mit: der arme Mann.

Ich empfand die Kommentare für jede Person in einer ähnlichen Situation furchtbar entwürdigend. Was sagt das dann beispielsweise über meine Partnerschaft aus? Ist mein Partner nur aus Mitleid mit mir zusammen? Hätte er nichts Besseres haben können? Versaue ich ihm dadurch, wie ich bin, sein Leben? Habe ich nichts, was mich trotz meiner Einschränkungen liebenswert macht? Kann man so überhaupt eine gleichberechtigte Beziehung führen? Bin ich ausschließlich eine Belastung? Bin ich egoistisch, weil ich mich meinem Partner zumute? Und muss ich dankbar dafür sein, dass er sich überhaupt mit mir abgibt?

Es mag solche Menschen überraschen, aber man kann durchaus eine zufriedene und glückliche Beziehung führen, auch wenn PartnerInnen Umstände mit sich bringen, die einschränken und auch Auswirkungen auf den Beziehungsalltag haben können. Mein Partner muss nicht bemitleidet werden, und ich muss auch nicht vor ihm auf die Knie fallen, weil er sich mit mir abgibt. Mein Mann ist weder aus Mitleid mit mir zusammen, noch muss ich mit irgendwelchen zweifelhaften Mitteln an mich ketten. Ich denke, unsere Beziehung ist glücklicher als viele andere „normale“ Beziehungen. Wir achten und respektieren die Bedürfnisse des Anderen und geben diesen Raum, wir haben viele gemeinsame Interessen, verbringen wahnsinnig gerne Zeit miteinander und führen viele intensive Gespräche. Wir sind glücklich. Wir streiten sehr selten und gehören auch nicht zu den Paaren, die sich im Restaurant gegenüber sitzen und nicht wissen, worüber sie sich unterhalten sollen.

Ich weiß, solche Kommentare sagen mehr über die Menschen aus, die so etwas äußern, als über mich. Dennoch sind sie ein Teil dessen, wie die Gesellschaft auf Menschen wie mich schaut, welche Wertung sie vornimmt und wie sie mich und viele andere Menschen einordnet. Das Schlimme ist, es gibt sogar Betroffene selbst, die sich stolz zeigen, mit einem „normalen“, gesunden, nicht-behinderten Partner zusammen zu sein. Sie nehmen selbst eine Wertung vor oder sehen es als „Qualitätsmerkmal“ für sich selbst. „Seht her, so weit habe ich es gebracht. Ich muss mich nicht mit jemandem wie mir zufrieden geben.“ Klingt traurig, oder? Ist es auch. Zeigt es doch, wie Betroffene selbst schon die Sichtweise annehmen, dass sie kaputt oder weniger wert sind (internalisierter Ableismus). Daran ist nichts gesund. Es zeugt von ganz wenig Akzeptanz der eigenen Identität.

Dennoch, solche Dinge sind wunderbar dazu geeignet, mich anzutriggern, schließlich war fehlende Akzeptanz etwas, was mich während meines Lebens größtenteils begleitet hat. Eigentlich spiegelt die Gesellschaft uns permanent, wie ignorant und engstirnig sie ist. Lese ich in den sozialen Netzwerken etwas über Autismus, was nicht aus der autistischen Community kommt, bin ich jedesmal entsetzt. Wirklich jedes Mal triefen die Kommentare nur so von Hass, Ableismus, Vorurteilen und Ignoranz, und zwar egal, um welchen Themenbereich es geht.

Sind meine Vorstellungen vom Umgang mit Diversität wirklich so utopisch? Bin ich durch mein Umfeld so verwöhnt? Das mag man denken, aber es zeigt mir auch, dass gar nicht so viel nötig ist, um einen anderen Weg einzuschlagen. Und vor allem, um beim Thema zu bleiben, man kann eine „ungleiche“ Partnerschaft führen, in der diese „Ungleichheit“ keine Rolle spielt.